„Es wurde auch in der Kunst den Roma leider nicht viel zugetraut, weil die Klischeebilder und Stereotypen in den Medien sehr stark wiedergegeben und wiederholt werden."
SIMONIDA
SELIMOVIĆ
IM INTERVIEW
SIMONIDA SELIMOVIC, SCHAUSPIELERIN, REGISSEURIN UND GRÜNDERIN DES VEREINES ROMANO SVATO, LÄSST DIE VERGANGENHEIT REVUE PASSIEREN UND GIBT SPANNENDE EINBLICKE IN IHRE ARBEIT ALS KÜNSTLERIN UND VISIONÄRIN UND VERRÄT UNS, WAS SIE SICH FÜR DIE ZUKUNFT VON ROMANO SVATO WÜNSCHT.
Pünktlich zum 10jährigen Jubiläum des Vereines Romano Svato, den du, Simonida, mit deiner Schwester Sandra gegründet hast, gibt es eine neue Homepage, die auch den technischen Ansprüchen der heutigen Zeit gerecht wird. Es gibt viele Ideen und Wünsche an die Zukunft - wenn wir nochmal zurückblicken - was hat sich aus deiner Sicht durch die Umsetzung der zahlreichen, extrem powervollen Aktionen und Projekte für die Roma bereits erfüllt?
"Wir haben in den letzten Jahren eine große Reichweite, auch international, erlebt und dadurch ein Interesse geweckt, dass Roma als SchauspielerInnen, RegisseurInnen, AutorInnen, BühnenbildnerInnen usw. professionell arbeiten können. Es wurde auch in der Kunst den Roma leider nicht viel zugetraut, weil die Klischeebilder und Stereotypen in den Medien sehr stark wiedergegeben und wiederholt werden. Durch unsere Arbeit haben wir das Theater als Sprachrohr für Themen, die uns persönlich beschäftigen, verwendet und uns künstlerisch weiterentwickelt."
Wie habt ihr die Zeit der Pandemie im vergangenen Jahr genutzt?
"Wir sind auf der Suche nach einer neuen künstlerischen Umsetzung, Theater zu verfilmen. Dabei wird das Theaterstück nicht nur abgefilmt, sondern es entsteht eine völlig andere Form von Digital Theater - man kann es auch Theater Video oder Video Theater nennen. Theater in digitaler Form wird in nächster Zeit ein wichtiges Medium sein, weil wir auf diese Weise sichtbar bleiben und eine neue Strategie entwickeln, damit das Theater überlebt. Nehmen wir als Beispiel Bücher her. Sie haben sich in den letzten Jahren auch weiterentwickelt. Es gibt Hörbücher, Kindle usw. Das Buch als solches ist geblieben aber trotzdem haben sich elektronische Medien auch durchgesetzt. So denke ich, dass durch die Pandemie das Theater eine Veränderung durchmacht, der wir offen gegenüberstehen sollten und diesen Umstand als Chance nützen, um einen Weg zu gehen, bei dem sich für Romano Svato, für das Roma Theater eine Tür öffnet, wo wir Roma Communities auf einem anderen Weg auch erreichen können. Bisher hat es sich als schwierig erwiesen Roma ins Theater zu holen, weil die Barriere zu groß für viele ist. Öffentliche Institutionen werden von Roma oft als Bedrohung - leider auch zurecht - gesehen, da Rassismus gegenüber anders aussehenden Menschen sehr offen gezeigt wird. Roma werden in den Medien kaum positiv vertreten oder gezeigt. Auf Bühnen finden sich kaum Roma wieder, warum sollten sie sich da: „Weisses Gadjo Theater“ anschauen, wird oft als Antwort gegeben. Ich habe erkannt, dass wir andere Mittel und Wege suchen müssen, um uns Zugang zu den Roma Communities zu schaffen."
„DAS THEATER MACHT EINE VERÄNDERUNG DURCH, DER WIR OFFEN GEGENÜBERSTEHEN SOLLTEN.
FÜR DAS ROMA THEATER ÖFFNET SICH EINE TÜR, DURCH DIE WIR ROMA COMMUNITIES AUCH AUF EINEM ANDEREN WEG ERREICHEN. "
Durch die brisanten Themen der Stücke, die ihr auf die Bühne bringt und die Mindj Panther Rap Songs, bei denen Protest und Kampfgeist auf eine kraftvolle, musikalische Ebene gestellt wird, habt ihr einiges vorgelegt. Was darf man sich in Zukunft von Romano Svato erwarten?
"Es werden Stücke über die Geschichte der Roma kommen. Historische Stücke wie beispielsweise über die Sklaverei und auch Stücke, welche sich mit Fremd- und Selbstbildern der Roma auseinandersetzen. Wir werden uns natürlich nicht ausschließlich mit Roma Themen beschäftigen, aber es wird immer etwas aus unserer Welt einfließen, weil WIR Roma selbst Produzentinnen sind. Wir leben in Wien, die Stadt der Ex-YU´s, das sind wir auch, wir sind aber auch WienerInnen und WeltbürgerInnen - somit kommen viele, viele Themen zusammen, die wir auf die Bühne oder vor die Kamera bringen möchten. Mindj Panther hat sich für die Theaterprojekte als ein tolles Instrument erwiesen, wo wir uns über alles erheben dürfen und Texte raushauen, die die Leute im ersten Moment vielleicht nicht hören wollen und von den Roma als auch von der Mehrheitsgesellschaft manchmal an die Wand geklatscht werden. Wir greifen an. Aber wir halten uns (der Roma Community) auch den Spiegel vor, das macht Mindj Panther aus."
„Es wurde auch in der Kunst den Roma leider nicht viel zugetraut, weil die Klischeebilder und Stereotypen in den Medien sehr stark wiedergegeben und wiederholt werden."
„Durch ein eigenes Roma Theater würde man wie durch ein Stück Land ein Stück Freiheit erlangen."
Theaterstücke zu verfilmen und historische Recherchearbeit zu leisten sind zwei große Brocken, dafür wäre ein eigener Standort ideal, ist das Thema?
"Ein Roma Theater, ein fixer Standort mit Bühne, Proberäumen und technischer Ausstattung ist auf jeden Fall ein Thema im letzten Jahr geworden. Ich kann mir sehr gut vorstellen ein Romano Svato Theater Haus in Wien aufzubauen, wo es endlich Platz für die, die im Unsichtbaren leben, gibt. Platz für Kunst von Menschen, wo die Herkunft keine wichtige Rolle spielt, weil die Kunst und der Mensch im Vordergrund bei Romano Svato stehen. Mein Traum wäre es auch ein Ensemble zu haben, wo man weiß, wie gearbeitet wird, eine Kontinuität reinbringen - Leute anstellen -laufend Stücke produzieren ohne lange Pausen und ohne dass man ständig in Frage gestellt wird und ohne immer und immer wieder neu beginnen zu müssen."
Was bedeutet es für euch ein eigenes Roma Theater zu gründen?
"Roma haben kein eigenes Land, sind seit je her von überall vertrieben worden. Durch ein eigenes Roma Theater würde man wie durch ein Stück Land ein Stück Freiheit erlangen, selbstbestimmt sein. Durch eigene Roma Institutionen hätten wir ein Anrecht mitzubestimmen, mitzusprechen, mitzugestalten, zu kreieren, uns auseinanderzusetzen usw. Ein sicherer Ort der sichtbar ist für Roma und Gadje (nicht Roma). Zu lange leben wir schon im Verborgenen, zu lange leben wir als Chamäleon´s. Überall angepasst und leise, ja nicht auffallen ist das Motto von so vielen von uns."
Welche Themen habt ihr euch vorgenommen? Oder sind die noch geheim?
"Frauenthemen wie Sexismus, Rassismus, gesellschaftsrelevante Themen, aber auch die Geschichte der Roma wollen wir auf die Bühne bringen. Die Geschichte ist immer von den Gewinnern und von Machthabern erzählt worden - viel zu lange wurden wir aus der Geschichte herausgehalten, obwohl wir Europa, genau wie alle anderen, mitgestaltet und mit aufgebaut haben. Durch unsere Theater- und Videoarbeit haben wir die Möglichkeit unsere Geschichte aus der Roma Perspektive zu erzählen. Gadje (nicht Roma) haben über Roma Geschichten aufgeschrieben, aber selten Roma selbst. Ihre Meinung hat fast nie gezählt."
Wird die NS Zeit in den Stücken thematisiert?
"Die NS Zeit ist ein wichtiger Teil der Roma Geschichte, es hat sehr lange Zeit gedauert bis Österreich anerkannt hat, dass Roma in der NS Zeit ermordet wurden. Wenn wir alle Geschichten aus der NS Zeit auf die Bühne bringen würden, die alleine meine Familie betreffen, müssten wir mindestens ein Dutzend Stücke pro Jahr, 20 Jahre hindurch produzieren. Natürlich machen wir das nicht, aber es zeigt, wie viel Schmerz da ist und wie viel noch zu tun ist."
Kann man sagen, dass die Vergangenheit dadurch ein Stück weit aufgearbeitet werden kann?
"Ich würde sagen, dass ich unsere Verantwortung darin sehe nach vorne zu schauen, ohne die Vergangenheit zu vergessen. Wir können sicher ein Stück Vergangenheit aufarbeiten, aber dazu muss man bereit sein, sich Stücke anzusehen die weh tun können, die auf die eigene Verantwortung verweisen. Man muss auch Strukturen hinterfragen, die aus der NS Zeit geblieben sind und sich nicht einfach verändern lassen, die es aber einer Gesellschaft schwer machen, miteinander zu leben. Wie sehr ist man bereit selbst etwas dafür zu tun? Diese Frage möchte ich aus verschiedenen Blickwinkeln betrachten. Es gibt viele Wahrheiten, welche Wahrheit ist meine? Welche Wahrheit kann ich mir von anderen anhören, ohne zu urteilen und verurteilen."
„Es gibt viele Ideen: Rap Workshops im Theater, Schreibwerkstätten - write your own history, Romnja (Frauen) Power, Collective Serien und so weiter."
In euren Stücken und auch Raps war es euch wichtig neben Deutsch, Englisch und Serbisch auch Romanes zu sprechen, um junge Roma zu empowern und ermutigen ihre Herkunft nicht zu verleugnen. In Zukunft wird es sogar Stücke geben, die fast ausschließlich auf Romanes gesprochen werden - wie könnt ihr dennoch die Mehrheitsgesellschaft ansprechen/ abholen? Beziehungsweise wer sind eure Zuschauer - pears, wen möchtet ihr erreichen und ins Theater bringen?
"Theater auf Romanes soll zum einen als Spracherhalt dienen, aber auch junge Menschen ermutigen ihre Sprache zu sprechen und es als Privileg anzusehen, diese Sprache zu können. Romanes wird nur mündlich überliefert man kann keinen Sprachkurs besuchen, um diese zu erlernen. Romanes ist eine sehr alte Sprache die, wenn sie gesprochen wird und in Theaterstücke einfließt, eine besondere Ästhetik aufweist, weil sie melodisch und schön ist. Durch Untertitelung oder durch live Übersetzung mit Kopfhörern können Stücke auf Romanes für alle zugänglich gemacht werden, die die Sprache nicht können. Es gibt mittlerweile genug Roma, die die Sprache nicht mehr sprechen, weil sie sie verlernt haben oder nie gelernt haben, weil Romanes als schambesetzte Sprache gesehen wird.
Romanes auf der Bühne oder im Film gesprochen hätte einen großen Impakt sowohl auf die jüngere Generation als auch auf jene, die nicht zu ihrer eigenen Identität stehen können und sich schämen Roma zu sein."
Gibt es künftig neue künstlerischen Ausdrucksformen oder andere Formate?
"Ich bin tatsächlich auf der Suche nach Ausdrucksformen, welche körperlich und sprachlich global verstanden werden. Es werden auch Formate kreiert wie zum Beispiel Theaterserien für Jugendliche, die sowohl live als auch auf Video für´s Wohnzimmer konzipiert werden. Es gibt viele Ideen: Rap Workshops im Theater, Schreibwerkstätten- write your own history, Romnja (Frauen) power, collective Serien und so weiter. Damit man es sich als Film ansehen kann braucht es sehr gute Qualität und hier kommt Romflix ins Spiel."
Romflix – klingt interessant - worum geht's da genau?
"Romflix ist eine Plattform, die wir für Streamings für Theaterproduktionen verwenden und eben für eine solide Verbindung und gute Qualität steht. Wir möchten auch anderen TheatermacherInnen die Möglichkeit geben über Romflix Produktionen zu streamen."
Klingt alles unheimlich spannend, es sieht danach aus, dass es mit geballter Kraft vorausgeht, aber auch Wert auf Kontinuität, Sicherheit und Nachhaltigkeit gelegt wird. Also thematisch aufgeladen mit politischen und historischen Statements und organisatorisch ein Kontrapunkt zur ewig tradierten, teils falsch überlieferten Lebensweise. Was wünscht du dir für Romano Svato für die nächsten Jahre? Welche empowernden Worte möchtest du deiner Community mitgeben?
"Ich wünsche mir für Romano Svato, dass sich aus dem Verein eine wunderbar tolle Institution entwickelt, dass sich die Stadt Wien für das Roma Theater freut und Romano Svato dabei unterstützt, damit ein Roma Theater künftig Teil des Stadtbildes ist. Ich wünsche mir auch, dass viel mehr Stücke von Roma produziert werden und durch das Romatheater, welches subventioniert wird, auch eine stetige Nachhaltigkeit möglich wird. Der Community möchte ich sagen, dass wir trotz unserer Heterogenität doch auch viele gemeinsame Punkte teilen. Durch das Hinschauen auf Gemeinsamkeiten und das gegenseitige Akzeptieren können wir eine ungemeine Power erreichen, die uns alle verbindet. Damit meine ich beide – die autochthonen Roma und die emigrierten Roma. Wenn wir uns weiterhin diesbezüglich spalten lassen und uns selbst spalten haben wir verloren. Wir können soviel gewinnen, wenn wir uns gegenseitig unterstützen und einander sehen. Roma Power ist hier und Roma Power kann und wird sich noch stark entwickeln da bin ich mir sicher."
Starke, beherzte Worte zum Abschluss, liebe Simonida, ich danke Dir für das beeindruckende Interview.
Das Interview wurde geführt von Linn Hütter